Ohne Russen keine Theater
Das Theater Karlshorst hat eine besondere Geschichte. Es ist das einzig überlieferte Bauwerk dieser Art in Berlin der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) und der erste Nachkriegs-Theaterneubau in Deutschland. Das "Haus der Offiziere", im Volksmund "Russen-Oper" genannt, wurde 1948/49 als Reparationszahlung von den Deutschen errichtet. Das Gebäude – ein seltenes Beispiel für stalinistische Architektur in Karlshorst – war die Kulturstätte für Angehörige der Roten Armee, die in Karlshorst stationiert waren.
Die Sowjetarmee nutzte bis zum Abzug der Streitkräfte aus Deutschland 1994 die "Russen-Oper" als Veranstaltungsort. Danach übernahm das private Theater Karlshorst die rund 600 Plätze in dem historisch bedeutsamen Gebäude. Die Theatermacher boten vor allem Operetten-Aufführungen in dem neoklassizistischen Bau am Bahnhof Karlshorst an.
Im "Haus der Offiziere" standen weltberühmte Künstler wie David Oistrach, die legendäre Primaballerina Galina Uljanowa und das Ensemble der Peking-Oper auf der Bühne. Weil in das Theater nur sowjetische Militärangehörige und Zivilangestellte sowie deren Familien rein durften, verpassten die Karlshorster ihm den Namen "Russen-Oper". Im Haus befand sich auch der Club "Wolga". Seit den 70-er Jahren konnte das Gebäude dann auch von Deutschen genutzt werden. Viele haben in dem Saal ihre Jugendweihe erhalten. Außerdem gab es hier regelmäßig Kinovorführungen.
Der direkte Vorgängerbau des heutigen Theaters war das "Deutsche Haus" der Familie Kupsch, mit Rummelplatz, Schießbuden und Karussell. Im "ersten und größten Etablissement am Platze", so eine Zeitungsannonce aus dem Karlshorster Anzeiger von damals, fanden Varietè-Veranstaltungen, Modenschauen der örtlichen Textilgeschäfte und Kabarettabende statt. Es gab eine Conditorei und Cafè, Weinstuben sowie Restauration. Zum Schwoof im Spiegel-Parkett-Fest-Saal trafen sich bis zu 1.200 Personen.
Mit der Herrlichkeit im gutbürgerlichen Idyll des "Dahlem des Ostens" war es nach dem Einmarsch der sowjetischen Armee vorbei. Der erste Berliner Stadtkommandant Nikolai Bersarin nahm sein Quartier in Karlshorst und erklärte am 3. Mai 1945 das gesamte Wohngebiet zu beiden Seiten der Treskowallee zum Sperrgebiet. Zwei Jahre später wurde das Deutsche Haus abgerissen.
Hintergrund 1:
Chronologie der Bauarbeiten – Ein detaillierter Bericht 1948/49
Mit der Durchführung wurde am 14. Februar 1948 begonnen. Die Oberaufsicht hatte die 1. Bauleitung der Militäreinheit Treptow, die die Firmen Beton- und Tiefbau Mast AG, Boswau und Knauer AG sowie die Herrm. Streubel KG mit der Ausführung betraute. Das zweite endgültige Projekt vom 10. Februar 1948 sah einen Umfassungsraum von 1.500 Quadratmetern vor und wurde am 15. April genehmigt.
Zu Beginn der Bauarbeiten war mit der Planung und Leitung der Architekt Ullrich betraut. Zu diesem trat im März 1948 Hans Schaefers hinzu, der ab 1. August 1948 die alleinige verantwortliche künstlerische und technische Leitung, die Gesamtplanung und Oberaufsicht gemeinsam mit der sowjetischen Bauleitung trug.
Für den Theaterbau wurde das Gebäude "Deutsches Haus" abgerissen, wobei der vorhandene Saalbau in den Neubau einbezogen wurde. Der Baubeginn gestaltete sich schwierig, weil das zu Beginn dreiseitig bebaute Gelände nur geringe Möglichkeiten für die Lagerung der Baumaterialien bot und überdies die Baustoffe von der bauleitenden sowjetischen Einheit zugewiesen wurden. Sie gelangten per Kahn und LKW zur Baustelle. Häufig gab es Verzögerungen, weil Baustoffe oder Fahrzeuge fehlten. Ab 8. April trafen durchschnittlich zehn LKW täglich ein.
Der Bodenaushub wurde mit zwei Förderbändern transportiert, von denen eines nach kurzer Zeit ausfiel. Ersatz war nicht zu beschaffen. Bei den Schachtarbeitern wurde nun eine Diesellok eingesetzt.
Im März gab es wieder eine Projektänderung. Nur noch 840 Quadratmeter umbauter Raum sollten entstehen. Das heißt, etwa 210 Kubikmeter Erdmassen waren bereits zuviel ausgehoben worden.
Ab 24. April 1948 ruhten die Betonierungsarbeiten, weil es weitere Projektänderungen gab. Ende April 1948 gab es wegen Sequestrierung beziehungsweise Beschlagnahme des Eigentums der Firmen Boswau und Knauer AG sowie Herrm. Streubel KG neue Schwierigkeiten. Allerdings konnten die genannten Firmen weiter arbeiten.
Am 7. Mai 1948 trafen neue Zeichnungen ein. Wieder Änderungen im Ablauf.
Mit den Arbeiten am Mauerwerk für die Hofseite und weiteren Fundamenten wurde zwischen dem 18. und 21. Mai 1948 begonnen.
Die Unterfangungsarbeiten an der Giebelseite des alten Theaters wurden am 2. Juli 1948 beendet und mit dem Betonieren vor dem Bühnenhaus begonnen. Durch Befehle der amerikanischen Militärregierung, die Stromsperren und Geldprobleme nach sich zogen, verzögerte sich die Anlieferung der Fertigkonstruktion für die Haupteingangsfront durch die Fa. Krupp-Druckenmüller aus Berlin-Tempelhof. Diese Fa. lieferte ab 16. September 1948 auch die Bühnenkonstruktion und baute sie auf.
In der Zeit vom 3. bis 9. September wurde die Schutzrüstung für den Dachumbau an der Stolzenfelsstraße gestellt, ein Teil des Dachverbandes der Anbauten der Eingangsfront fertig gestellt und das Dach über dem Zuschauerraum zwecks Umbau als Schleppdach abgebaut.
Bis zum 15. September erfolgten die Einschalung und Betonierung von Stützen, Säulen und Rangdecken sowie weitere Arbeiten.
Im November erforderte ein starker Kälteeinbruch das provisorische Verschalen aller inneren und äußeren Öffnungen, um die Kälte abzuhalten. Die Firma Growe installierte eine Baubeheizungsanlage. Am 30. Dezember 1948 ordnete jedoch eine plötzlich auf der Baustelle erschienene Arbeitsschutzkommission an, alle in den Räumen aufgestellten Koksöfen wegen der schädlichen Oxydgase zu entfernen.
Die Umbauarbeiten im Altbau konnten am 16. November 1948 beendet werden. Bis zum 30. Dezember 1948 wurden die gesamte Ausfachung des Bühnenhauses, die Betonierungsarbeiten der Stahlbetonbühnendecke, die Bühnenarbeitertreppen und Terrassen sowie die Betonierungsarbeiten auf dem Dach fertig gestellt. Mangels Rüstungen wurden diese wiederholt abgebaut und umgesetzt, um die Arbeiten an den wichtigsten Baustellen nicht zu gefährden.
Anfang Januar 1949 waren die Putzarbeiten des Bühnenhauses fertig gestellt, danach begannen die Vorbereitungen für den Fassadenputz an der Westseite.
Die Ausführung der Terrassenstützen in Beton, der Dachdecker- und Klempnerarbeiten sowie die Anlieferung und Einbau der Fenster und Türen erfolgte in der Zeit vom 12. bis 28. Januar 1949. Zur schnelleren Durchführung der Innenputzarbeiten wurden die Putzerkolonnen auf 52 Mann verstärkt. Da passgerechtes Glas fehlte, wurden auf Anordnung der sowjetischen Bauleitung sämtliche Fenster vorerst notverglast.
Am 31. Januar 1949 wurden die Beleuchtungsbrücken über dem Zuschauerraum angeliefert und bis 5. Februar 1949 fertig eingebaut. Der fortdauernde Mangel an Glühbirnen für die Baubeleuchtung erschwerte die Tag- und Nachtarbeiten.
Während der Ausführungszeit des Theaters wurden auf dem Gelände die folgenden erforderlichen baulichen Maßnahmen durchgeführt:
Abbau der Ruine Treskowalle 99
Abbau des zweigeschossigen Doppelwohnhauses Ehrenfelsstraße 2-4
Instandsetzung des Direktionshauses
Bau einer Trafo-Station (Hoch- und Niederspannung),
Errichtung einer Grenzmauer mit vorgebauter Pergola und zwei Hofabschlussmauern mit je einem zweiflügligen eisernen Tor
Herstellung einer 86,70 Meter Iangen und 7 Meter breiten Verbindungsstraße (Beton) zwischen der Stolzenfels- und Ehrenfelsstraße
Einbau eines rund 60 Quadratmeter großen Wasserbassins (Springbrunnen) innerhalb der Grünflächen an der Hauptfront Ehrenfelsstraße
Herstellung eines breiten Plattenzugangsweges von der Ehrenfelsstraße zum Haupteingang
Neu- und Umpflasterung von Bürgersteigen
Schaffung von Grünanlagen an der Hauptfront entlang bis zur Ecke Treskowallee
Aufstellung und Anschluss von Außenleuchten (Bogenleuchten)
In den Monaten April bis Juli 1949 erledigten die Bauarbeiter die Restarbeiten an den Außenanlagen, Dekorationsarbeiten innerhalb des Theaters und die Möblierung.
Ob der in dem Bericht vom 1. August 1949 genannte Eröffnungstermin 1. September 1949 gehalten wurde, ist nicht vermerkt.
Recherchen LAB Berlin: Walter Fauck. Textauswahl: Michael Laschke. Geschichtsfreunde Karlshorst
Hintergrund 2:
Der Architekt Hans Schaefers – einer der bedeutendsten Berlins
Im Februar 1948 war mit dem Bau des Theaters Karlshorst begonnen worden. Der Entwurf geht nach mündlichen Erinnerungen des zeitweiligen Leiters des Hauses der Offiziere, Anatoli Jakowlew, auf den Chefarchitekten der Sowjetarmee, Kriwuschenko, zurück. Als der Bau begann, war Architekt Ullrich beteiligt. Im März 1948 trat Hans Schaefers hinzu, der ab 1. August 1948 die alleinige verantwortliche künstlerische und technische Leitung, die Gesamtplanung und Oberaufsicht gemeinsam mit der sowjetischen Bauleitung trug.
Wer war Hans Schaefers?
Hans Schaefers wurde am 20. Januar 1907 in Berlin geboren. Sein Vater, Franz Schaefers, war Lehrer, zugleich Inhaber einer mit einem Pensionat verbundenen Privatschule an der Charlottenburger Schillerstraße. Die Mutter Clara, geborene Russell, ebenfalls Lehrerin mit Musikstudium, stand dem Pensionat vor. Hans wuchs mit zwei Geschwistern auf; der anderthalb Jahre ältere Bruder wurde Maler und lebte später im Bodenseegebiet, die fünf Jahre jüngere Schwester wurde Chemikerin.
Im August 1914 fiel der Vater in der Schlacht bei Tannenberg. Die Mutter stand mit den drei Kindern allein, nahm eine Lehrerinnenstelle im städtischen Schuldienst an, schrieb nebenher Theaterstücke für Kinder, die auch außerhalb der eigenen Schule aufgeführt wurden. Hans Schaefers ist mit Musikunterricht aufgewachsen.
Nach Abschluss der Charlottenburger Leibniz-Oberreal-Schule volontierte er bis 1924 in der Charlottenburger Kunsttischlerei Quester. Von 1925 bis 1928 besuchte er die Architekturklasse der Kunstgewerbeschule Berlin-Charlottenburg, die unter der Leitung von Professor Schneckenberg stand und trat 1929 als Architekt in das Büro des Architekten Kurt Heinrich Tischer ein. 1930 begann er für ein Jahr ein ergänzendes Studium bei Professor Alfred Grenander an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst, heute Hochschule der Künste, in Berlin. Sein Studienabschluss fiel in die Weltwirtschaftskrise, die Hans Schaefers als Selbständiger mit der Gestaltung von Möbeln, mit Um- und Ausbauten überlebte. Mit dreißig Jahren richtete er sein eigenes Büro in Friedenau ein. Jetzt gab es für ihn die ersten Aufträge für Einfamilienhäuser und Wohnungsbauten, aber auch für den Ausbau einer kleinen Fabrik, in der Teile für Flugmotoren hergestellt wurden.
Die Jahre 1940 bis 1945 verbrachte er in leitender Tätigkeit bei einer Industrieplanungsgesellschaft für Bauten der Kriegswirtschaft. Bei Kriegsende befand er sich in Neumünster. Ein gutes Jahr später, im Oktober 1946, war er wieder in Berlin und führte das 1937 gegründete Architekturbüro weiter. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges gab es Aufträge für Neubauten so gut wie gar nicht. Um- und Ausbauten oder auch Studienarbeiten wurden fast nur von den Kommandanturen der Besatzungsmächte vergeben. So richtete Hans Schaefers beispielsweise die sowjetische Handelsvertretung in der Brunnenstraße ein und baute ein der UdSSR gehörendes Haus in der Lietzenburger Straße um.
Im Jahre 1952 erhielt er den Auftrag zum Bau von 112 Kleinwohnungen an der Ecke Badensche Straße/Meraner Straße in Schöneberg. Im April 1955 wurde das fertige Projekt in der "Bauwelt" mit einem zurückhaltenden, doch anerkennenden Kommentar versehen.
Im Jahr 1954 gewann Hans Schaefers in einem engeren Wettbewerb für ein Bürohaus der Volkshilfe Lebensversicherung an der Lietzenburger Straße den ersten Preis. Den Vorsitz im Preisgericht hatte Egon Eiermann. Der Neubau in Rasterbauweise mit der ersten Vorhangfassade Berlins wird später als "eine Art Pionierleistung in den Jahren des Wiederaufbaus" bezeichnet werden. Dieses Bürohaus bedeutete den Durchbruch für Hans Schaefers.
Seit 1951 realisierte Hans Schaefers zirka 49 Projekte, zum Teil gemeinsam mit seinem Partner Hans-Jürgen Löffler und anderen Kollegen. Darunter befinden sich Bauten für den Zoologischen Garten Berlin (das große Raubtierhaus, das Tropenhaus, das Aquarium, der Haupteingang), die Sankt-Konrad-Kirche Friedenau, die Sankt-Michael-Kirche Kreuzberg, Kasernenobjekte in Hessich-Lichtenau und in Homburg, die Wohnsiedlung Märkische Scholle Lichterfelde, Produktionsgebäude für die Schering AG, das Regierungspräsidium Wiesbaden, die Deutsche Industriebank Charlottenburg, der "Anbau" an der Bundesdruckerei in Kreuzberg mit 95 Meter Länge und 26 Metern Breite, das Hochhaus I der BfA am Hohenzollerndamm und das Bürohaus II der BfA, der Umbau des U-Bahnhofes Deutsche Oper (ursprünglich von Grenander).
Hans Schaefers stiftete einen Preis zur Förderung der junger Architekten, der 1992 erstmalig vom BDA vergeben wurde. 2004 gründete der BDA Berlin die Hans-Schaefers-Stiftung, um den mit 5000 Euro dotierten Preis langfristig zu sichern. 2004 übernahm die Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer, die Schirmherrschaft.
Hans Schaefers, der verantwortliche künstlerische und technische Leiter beim Bau des Theaters Karlshorst, ist einer der bedeutenden Architekten der 1950-er bis 1980-er Jahre in Berlin. Er starb 1991.
Recherchen und Text: Michael Laschke. Literatur: Quadriga Porträt Hans Schaefers, vorgestellt von Günther Kühne. 1985