Schlafplätze in alten Munitionsbunkern
Erkner/Woltersdorf (MOZ) In der Nacht verließen zu DDR-Zeiten regelmäßig Lkw mit Munition das „Lagerobjekt 2“, im Wald zwischen Erkner, Woltersdorf und Berlin. Das streng bewachte Depot unterstand dem Ministerium des Inneren. Heute sind in den alten Bunkern Höhlen von Menschen und Fledermäusen zu finden.
„Alles weggerissen, alles, nichts mehr da.“ Regina Zabel stapft über den Kies. Nur ein paar Betontrümmer und Kabel gucken aus dem Boden. Zwei Jahre ist es her, dass Regina Zabel mit ihrem Hund das letzte mal an ihrer früheren Wirkungstätte spazieren ging. Noch immer kennt sie jeden Meter. „Hier stand der Flachbau mit den Fahrzeugen der Kampfgruppen“, erinnert sie sich. „Rechts war die riesige Halle, die Strafgefangene aus Rüdersdorf Ende der 70er Jahre gebaut haben“, weiß die Erkneranerin. Zu sehen ist von all dem nichts mehr. Zumindest nicht in der Natur. Auf den Fotos von Manfred Jatzlauk, der ebenfalls zu DDR-Zeiten in dem Munitionsdepot arbeitete, schon. Nach der Wende hat er sie dort aufgenommen. Regina Zabel hat sie zu ihrem Spaziergang mitgebracht.
Zu der Zeit, als sie dort arbeitete, wäre das undenkbar gewesen. „Ich durfte nicht mal meinen Nachbarn erzählen, wo ich arbeite“, sagt die 60-Jährige, die von 1975 bis 1990 zum Wachschutz des Objektes gehörte. „Das Objekt“ unterstand dem Ministerium des Inneren. Es war das Lagerobjekt 2 und gehörte zur Versorgungsbasis der Polizei. Von Bettwäsche bis zu Munition war alles vorhanden. Rund 35 Männer und Frauen arbeiteten in Hallen und Wirtschaftgebäuden, schätzt Regina Zabel. Fünf Zivilisten waren dafür zuständig, die eingelagerte Munition in Lkw zu laden oder „scharf zu machen“.
Wofür die Dinge, die sie bewachten, genutzt werden sollten, wussten die wenigsten. Man habe nur gemerkt, wenn nachts „Aktionen“ waren, sagt Regina Zabel. Ein bis zweimal im Monat fuhren Lkw das Depot an. Die Fahrer luden Kisten mit Pistolen-, Gewehr- und Granatmunition auf. „Alles geheim“, sagt Regina Zabel. Ihres Wissens ging die Fracht zum Flugplatz. „Die Aufschriften auf den Kisten wurden so retuschiert, dass man nicht erkennen konnte, dass sie aus der DDR kamen.“
Das sei die „eiserne Reserve“ für den Ernstfall gewesen, weiß der Woltersdorfer Hobbyhistoriker und Bestatter Gerald Ramm. Von dort aus seien Lkw 1961 zum Mauerbau nach Berlin gefahren. Bei der Grenzsicherung 1989 habe das Lager ebenfalls eine Rolle gespielt. Von einstigen Beschäftigten wisse er, dass dort auch Granat- und kleine Raketenwerfer lagerten. „Als Kinder sind wir da rumgestromert und haben den Stacheldraht und die Hunde gesehen“, so Ramm.
Abgesperrt war das Gelände weiträumig. Stacheldraht, vier Wachtürme und bissige Hunde in Laufgängen sicherten das Lager. Am Haupteingang mit kleinem, grauen Kratzputzhäuschen und großem Metalltor erfolgte die Kontrolle. Zusätzlich liefen Regina Zabel und ihre Kollegen Streife, in Uniform und mit Pistole im Halfter. Zwölf Stunden dauerte eine Schicht.
Gut eine Stunde dauert heute ein Rundgang über das Gelände. Freie Flächen zeugen noch von ehemaligen Gebäuden. Ansonsten wächst Gras über das Munitionslager. Einzig einige der neueren und älteren Bunker existieren noch. Gut zehn mögen es sein. Die ältesten stammen aus dem zweiten Weltkrieg. Die neusten aus den 80er-Jahren. Sie wurden mit Erde zugeschüttet. Nur hin und wieder guckt eine schmale Luke hervor. Fledermausquartier steht daran geschrieben. Vor anderen Eingängen sind menschliche Spuren zu sehen. Planen und Bretterverschläge deuten aufHöhlen hin. Im Gras liegen einzelnen neue Patronenhülsen von Soft-Air-Waffen.
Regina Zabel habe nie zur Waffe greifen müssen, sagt sie. Lediglich einige Spione von westlichen Alliierten, die Fotos schießen wollten, habe sie weggeschickt. Ansonsten, erzählt die gelernte Rinderzüchterin, die lange in einer Tierarztpraxis arbeitete, sei sie eher zufällig zum Wachschutz gekommen. „Ich hatte einen Hund und eine Ausbildung zur Hundeführerin“, soRegina Zabel. Bei einem Wettbewerb hätten sie Hundeführer des Objektes gefragt, ob sie nicht auch dort anfangen wollte. Weil das Geld stimmte, willigte sie ein. Im März 1990 kündigte Regina Zabel und arbeitete danach bis zur Rente 20 Jahre bei der Post in Berlin.
Das Munitionsdepot schloss im gleichen Jahr. Später sei dort noch Papier eingelagert worden, weiß Manfred Jatzlauk. Vor zwei Jahren wurden die Gebäude abgerissen, „als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme für den Bau der A 10“, sagt Rahnsdorfs Revierförster Dieter Peth. In seinem Gebiet liegt die Fläche. Sie gehört dem Bund. Und langsam holt die Natur sie sich zurück.
Quelle MOZ Manja Wilde 09.09.2011 20:20 Uhr