Zu dieser Zeit studierte ich, Ingenieurstudium. Direkt danach glaubte auch ich an die Harmlosigkeit für unsere Staaten - und vermutlich habe ich das auch nachgeplappert.
Interessanterweise griffen mehrere Professoren das Thema auf, das Thema wurde mit dem damals verfügbaren Wissen nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen. Und dann klang das schon weit weniger harmlos.
Beispielsweise lernte ich:
* Das war kein Super-GAU, das war nicht einmal ein GAU. Der GAU ist das Durchschmelzen des Kerns bis auf ca. 800 Meter Tiefe. Das konnte durch den Bau des Notstollens verhindert werden.
* Der Auswurf ist nicht mit der Explosion einer Atombombe vergleichbar. Das Ergebnis ist ein anderes.
* Die Vokabel "Verseuchung" ist falsch, das kommt von Seuche: Viren, Bakterien - C-Waffe. Bei A-Waffe sowie Auswurf wäre "Aktivierung" korrekt.
Erst nach der Wende wurde (mir) klar, dass die DDR schnell begriff, wo das Problem war, es gibt mehrere gute Dokumentationen darüber: Transit-LKW wurden an den GÜSt dekontaminiert. Was man (also ich jedenfalls) der DDR schwer ankreiden muss: Sie sah das eigene Volk als Volk zweiter Klasse: Kontaminiertes Gemüse konnte nicht in den Export, also wurde es in der DDR verkauft.
Stehendes (und kritisch nachzufragendes) Wissen ist zudem: Die UdSSR habe skrupellos Wehrdienstleistende verheizt. Im Zuge der Aufarbeitung der Fukushima-Katastrophe wurde klar (sehr gute vergleichene Doku), dass das nur teilweise stimmt. Zwar hatten die ersten Handelnden wirklich kaum eine Chance. Für die wehrdienstleistenden Liquidatoren (die berühmten Bilder mit den auf dem Dach mit Schippe rennenden Soldaten!) stimmt das aber nicht:
Die Trümmerlast musste schnell von Dach. Der eingesetzte Roboter quittierte den Dienst sehr schnell, Elektronikausfall. Man hatte dann ausgerechnet, welche Dosisleistung noch verträglich sei. Die Soldaten hatten den damals verfügbaren Schutz: Atem, Bleischütze. Und rechnerisch war klar, wie lange man da sein darf um diese Dosisleistung zu bekommen, ich glaube 45 Sekunden. Das erklärt die Videoaufnahmen auf dem Dach: Zwei mit Schippe rennen los, schippen zweimla oder dreimal - und rennen zurück.Zweierteams, damit der eine den anderen notfalls sofort rausholen kann. Niemand von den Soldaten ging ein zweites Mal auf das Dach. Es gibt zudem (wohl) keine gehäuften Erkrankungen in dieser Gruppe.
Zwar ist ohne Frage, dass die UdSSR wenig zimperlich mit den Soldaten umging, wir alle kennen Beispiele ohne Ende. Erst mit Fukushima wurde klar, dass an dieser Stelle die UdSSR alles genau richtig machte. Viele aktuelle Dokus sind da leider sehr verkürzt.
Zur Sperrzone:
Es gibt Bereiche in denen die Strahlenbelastung nahe der Hintergrundstrahlung ist. Selbst in Pripjat gibt es derartige Bereiche. Es gibt überall in der Sperrzone aber auch heute noch Hotspots, Gebiete mit extrem erhöhter Strahlung.
Die Pflanzen- und Tierwelt entwickelte sich auch anders als erwartet: Es gibt weder Monsterschmetterlinge noch neue Arten. Mutationen sondert die Natur schnell als nicht lebensfähig aus. Bei Säugetieren gibt es teilweise Geschwüre, man kann das Krebs nennen.