panzerzwerg
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Hallo Forumuser,
den nachfolgenden Beitrag hatte ich im Herbst 2011 im Forum des "Jonastal-Vereins" veröffentlichkeit, als wieder Fragen zur Stationierung von SS-20 möglichweiser sogar in Thüringen auf dem Tr.Üb.Pl. Ohrdruf auftauchte. Auf Hinweis von Büttner , stelle ich diesen Beitrag in dieses Froum.
Für Meinungen, Ergänzungen und Richtigstellungen wäre ich dankbar.
7. Wurden Mittelstreckenraketensysteme vom Typ 15P645 "Пионер" (РСД-10)
Nato-Code: SS-20 "SABER", in der DDR stationiert?
Um Irrtümern vorzubeugen, nenne ich zuerst die für dieses Raketensystem in der ehemaligen Sowjetunion und in der NATO definierten Bezeichnungen:
Raketensystem: > 15P645 "Pionier" (RSD-10) mit der Rakete 15Ж45
Die Bezeichnung "RSD-10" (РСД-10) stammt aus dem
Artikel 3 des am 08. Dez. 1987 unterschriebenen INF-
Vertrages.
> 15P653 "Pionier UTTX" mit der Rakete 15Ж53-УТТХ
Raketen: > 15Ж45 "Pionier",
Aufnahme in die Bewaffnung: 11. März 1976
> 15Ж53-УТТХ "Pionier UTTX"
Aufnahme in die Bewaffnung: 23. April 1981
Startrampe: > 15U106, auf der Basis des sechsachsigen МАZ-573В
Nato-Code: > SS-20 "SABER mod1" für 15P645
> SS-20 "SABER mod2" für 15P635
Von der NATO wurde dieses Raketensystem als ballistischer Flugkörper kontinentaler Reichweite (IRBM – Intermediate Range Ballistic Missile) definiert. In der ehemaligen Sowjetunion dagegen als mobiles ballistisches Raketensystem mittlerer Reichweite (БРСД МРК).
Bis zum Zeitpunkt der Erreichung des annähernden strategischen atomaren Gleichgewichtes zwischen der USA und der UdSSR in der Mitte der 1970er Jahre war die Führung der sowjetischen Raketentruppen mehr als zehn Jahre mit der Modernisierung und der Erhöhung der Anzahl ihrer Interkontinentalraketen beschäftigt und richtet wenig Aufmerksamkeit auf die Weiterentwicklung ihres Mittelstreckenraketenpotentials. Dieser Zustand änderte sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre als die politische und militärische Führung der UdSSR erkannte, daß Europa der Hauptkampfplatz in der möglichen Auseinandersetzung mit dem "Weltimperialismus" sein wird. Nach dem es der UdSSR in der vergangenen Jahren mit positiven Ergebnissen gelungen war, den mobilen Raketenkomplex operativer Bestimmung 9K76 vom Typ "Temp-S". NATO-Code: SS12 / S-22 "SCALEBOARD" zu entwickeln und in die Bewaffnung der sowjetischen Streitkräfte einzuführen, entschloß man sich die neue Generation der ballistischen Mittelstreckenraketen ebenfalls auf "auf Räder zu stellen". Damit sollte deren Unverwundbarkeit vor den Vernichtungsmitteln des wahrscheinlichen Gegners gesichert werden. Die mobile Basierung der neuen Generation der ballistischen Mittelstreckenraketen erforderte aber zwingend die Verwendung von festen Treibstoffen. Außerdem entschloß sich die politische und militärische Führung der UdSSR zur Erhöhung der Vernichtungswahrscheinlichkeit gegnerischer Ziele und der Einsatzmöglichkeiten den neuen Raketenkomplex mit einem abtrennbaren Wiedereintrittskörper (PBV – Post Boost Vehicle) sprich abtrennbaren Gefechtskopf auszustatten, der über drei unabhängig voneinander zielbaren Wiedereintrittskörpern (MIRV – Multiple Independently targetable Re-entry Vehicle) verfügte. Die Entwicklung des neuen ballistischen Mittelstreckenraketensystems, das den Namen "Pionier" erhielt, begann 1971. Am 21. Sept. 1974 wurde auf dem Polygon Kapustin Jar erfolgreich die erste Rakete gestartet.
Am 11. März 1976 wurde der Raketenkomplex 15P645 "Pionier" (RSD-10) mit der Rakete 15Ж45 in die Bewaffnung der Strategischen Raketentruppen aufgenommen.
Die Raketenkomplexe "Pionier" ersetzten die im europäischen Teil der UdSSR im System der Ständigen Gefechtsbereitschaft befindlichen Raketenkomplexe der Typen R-12 / 8K63 (SS-4 "SANDAL") und R-14 / 8K65 (SS-5 "SKEAN"), in Sibirien und in Transbaikalien den Raketenkomplex R-16 / 8K64 (SS-7 "SADDLER"). Insgesamt sollen seit 1976 495 Raketenkomplexe an 29 Stationierungsorten in Dienst gestellt worden sein. Die R-12 hatte eine Reichweite von 2.100 km, die R-14 von 4.500 km und die R-16 von 13.000 km. Drei mit dem Raketenkomplex 15P645 "Pionier" (RSD-10) ausgerüstete Raketendivisionen wurden in Belorußland, drei in Ukraine und vier im asiatischen Teil der UdSSR stationiert. Anfang 1985 gehörten zu einer Raketendivision fünf Regimenter "Pionier" mit insgesamt 45 Startrampen. Auf Grund der Zuspitzung des Verhältnisses mit China Ende der 1970er-Jahre wurden in unmittelbarer Nähe zur chinesischen Grenze ebenfalls Raketenregimenter "Pionier" stationiert. Auf der Internetseite von Peter Hall www.peterhall.de/rvsn/missiles/rsd-10/pioner5.html (abgerufen am: 09. Nov. 2011) ist eine Karte mit den in Europa stationierten SS-20-Divisionen zu finden. Außerdem sind in der unten genannten Kopie des Dokumentes Nr. 310 / 86 des MfS die SS-20-Standorte ebenfalls noch einmal aufgeführt.
Die Einführung in die Truppe begann ab August 1976. Das erste mit diesem Komplex ausgerüstete Regiment wurde am 30. August 1976 in der Belorussischen SSR in das Diensthabende System eingegliedert. Es wurde international eingeschätzt, daß die SS-20 das leistungsfähigste Mittelstreckenraketensystem war, das jemals hergestellt worden ist. Bei sämtlichen Testschüssen war kein Fehlschuß dabei. Die SS-20 war das einzigste System ihrer Klasse, daß mit einem MIRV-Gefechtskopf ausgerüstet war. 1976 erhielten die Strategischen Raketentruppen 18 Startrampen, nach einem Jahr stieg die Zahl auf 51. 1981 befanden sich dann 297 Raketenkomplexe SS-20 im "Diensthabenden System", darunter 81 modifizierte Raketen vom Typ "Pionier" UTTX. Die Anzahl der produzierten Raketenkomplexe vom Typ "Pionier" wuchs mit unheimlichen Tempo: 1982 wurden 352 und 1983 378 Raketenkomplexe produziert. 1985 befanden sich im Bestand der Strategischen Raketentruppen 405 Raketenkomplexe "Pionier" verschiedener Modifikationen. Die Gesamtzahl der im "Diensthabenden System" und in den Lagern befindlichen Raketen erreichte die Zahl 650.
Auf Grund seiner Eigenschaften wurde dieses Raketensystem von der NATO als eine ernste Bedrohung und als ein Angriff auf das militärstrategische Gleichgewicht betrachtet. Die Sowjetunion betrachtete dieses Raketensystem als Zweitschlagsystem, während die NATO es als Erstschlagsystem betrachtet. Beide Betrachtungsweisen treffen in Abhängigkeit vom Standpunkt zu. Obwohl mit der Einführung der SS-20 alle R-12U und R-14 aus der Bewaffnung der sowjetischen Streitkräfte herausgenommen wurden und sich die summierte TNT-Menge verringerte, erhöhte sich jedoch die Kampfkraft der sowjetischen Strategischen Raketentruppen wesentlich.
Einige taktisch-technische Daten der Rakete 15Ж45:
Es gibt nur sehr wenige Quellen, wo die minimale Reichweite der Rakete 15Ж45 angegeben ist, eine davon ist die Internetseite http://ruzhany.narod.ru/rvsn/SS_20.html (abgerufen am 20. Febr. 2012 16:45), wo als minimale Reichweite 600 km steht, eine zweite Quelle ist das unten aufgeführte Dokument des MfS, wo eine minimale Reichweite von 200 km genannt, die aber nur unter bestimmten Bedingungen erreicht werden konnte.
Einige taktisch-technische Daten der Startrampe 15U106:
Struktur der SS-20-Verbände und –Truppenteile:
Eine mit SS-20 ausgerüstete Raketendivision verfügte über vier bis sechs Regimenter, jedes mit drei Abteilungen.
Struktur des beweglichen Führungspunktes eines Raketenregimentes, das mit dem Raketenkomplex 15P645 / 15P645K "Пионер" ausgerüstet war:
Struktur einer mit dem Raketenkomplex 15P645 "Pionier" ausgerüsteten Raketenabteilung:
Auf folgender Internetseite finden Sie Bilder zu oben aufgeführten Fahrzeugen;
http://ruzhany.narod.ru/rvsn/SS_20.html (abgerufen am: 09. Nov. 2011 11:38). Es wird empfohlen, sich diese Bilder anzusehen, um eine Vorstellung von deren Größe zu erhalten.
Warum sollten die sowjetischen Streitkräfte den Raketenkomplex SS-20 in der DDR stationieren?
Siehe auch Ausführung auf folgender Internetseite http://www.bunkernetzwerk.de/invboard/index.php?act=ST&f=1&t=1866& (abgerufen am 09. Nov. 2011 12:30).
Auszug aus einer Kopie eines Dokumentes Nr. 310 / 86 des MfS, die sich auf folgender Internetseite befindet:
http://www.php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm?lng=en&id=17276&navinfo=15296 (abgerufen am 30. Okt. 2011 17:14)
Der nachfolgende Auszug zeigt eindeutig, daß eine Stationierung auf dem Territorium der DDR und erst recht nicht im Großraum um oder auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf nicht erfolgt sein kann.
"Der Einsatz der gegenwärtig im Bestand der Truppen stehenden Raketen erfolgt nach gegnerischen Feststellungen (Anm. d. Verf. – damit ist die NATO gemeint) in zwei Versionen:
1. Einsatz aus vorbereiteten, vorvermessenen Feldstellungen
Die bei Übungen vom Gegner erkannten Feldstellungen liegen in der Regel in einem Umkreis von ca. 30 km um den Friedensstellungsbereich. Die SS-20-Transport- undStartfahrzeuge mit aufgelegter Rakete beziehen vornehmlich an Waldrändern in ca. 1 km Entfernung zu befestigten Straßen Stellung. In dieser Einsatzart lockert das SS-20 Regiment (Struktur und Standortverteilung s. Anlage 4) in drei einzelnen Abteilungen auf, die etwa 20 km Abstand voneinander besitzen.
Der Mindestzeitbedarf für den Raketenstart aus vorvermessenen Feldstellungen hängt primär von der Zielkategorie ab. Gehärtete Punktziele erfordern eine hohe Treffgenauigkeit und somit ein sehr genaues Ausrichten der Trägheitsplattform (Kreisel) der Rakete. Bei ungehärteten Flächenzielen ist die Treffgenauigkeit weniger relevant. Hier genügen 45 – 60 Minuten für die Justierung der Navigationskomponenten. Daher wird davon ausgegangen, daß die Rakete bereits 60 Minuten nach Beziehen einer vorbereiteten Feldstellung startbereit sein kann. Sind die Systeme bereits justiert, kann die Startbereitschaft innerhalb von 5 – 15 Minuten hergestellt werden.
2. Einsatz aus dem Friedensstellungsbereich (Schiebedachgaragen)
Die Startbereitschaft aus höchster Alarmstufe kann in 5 – 15 Minuten hergestellt werden, wobei zum Öffnen der Schiebedachgarage etwa 7 bis 15 Minuten benötigt werden. Bei ständiger Gefechtsbereitschaft beträgt der Zeitbedarf zwischen Alarmierung und Start der Rakete etwa 20 – 30 Minuten. …"
An anderer Stelle dieses Dokumentes wird zur Aufklärung dieses Raketenkomplexes folgendes ausgeführt:
"Der Gegner (Anm. d. Verf. – die NATO) geht davon aus, daß eine zeitlich und geografisch lückenlose Überwachung der für den Einsatz gegen Ziele auf europäischem Territorium geeignete Räume auf unerlaubte oder zusätzliche Stationierung durch agenturische Beobachtung trotz möglicher Zufallsergebnisse ausgeschlossen ist. Derzeit sei kein NATO-Staat in der Lage, eine Überwachung von Stationierungsbeschränkungen oder –verboten ausschließlich durch agenturische Quellen zu gewährleisten. Die Aufklärung durch technische Aufklärungsmittel ist ebenfalls bestimmten Einschränkungen unterworfen. Eine Aufklärung fester SS-20-Stellungsbereiche durch Fotosatelliten wird sich vorwiegend auf die Infrastruktur beschränken müssen. Es gilt als sehr problematisch festzustellen, ob Schutzhallen bzw. Schiebedachgaragen mit dem Waffensystem belegt sind oder nicht. Eine zeitlich lückenlose Satellitenüberwachung eines SS-20-Stellungsbereiches ist auf Grund der Satellitenbahnen und von Wettereinflüssen nicht möglich. Die Feststellung von SS-20-Komplexen im mobilen Einsatz außerhalb der festen Stellungen wird wegen möglicher Tarn- und Täuschungsmaßnahmen, der erforderlichen lückenlosen Fotoabdeckung von größeren Teilen der UdSSR und der notwendigen Bildauswertung als nicht realisierbar angesehen. Nahezu identische Probleme treten bei dem Einsatz satellitengestützter Infrarotsensoren auf. …
Die SS-20 ist bezüglich der Abstrahlung elektromagnetischer Energie ein passives System. Die Erfassung von Funkmeßsignalen ist daher nicht möglich. …
Der Gegner geht davon aus, daß bei einer beabsichtigten Vertragsverletzung durch die UdSSR mit der Anwendung denkbarer Tarn- und Täuschungsmaßnahmen zu rechnen wäre. Dazu gehört, daß die UdSSR die Überflüge von US-Aufklärungs-satelliten erfaßt sowie die Überflugzeiten und aufklärbaren Räume genau berechnet und gegebenfalls Warnung an betroffene Truppen übermittelt werden (Anm. d. Verf. – Diese Verfahrensweise habe ich als Gehilfe des operativen Diensthaben eines NVA-Verbandes selbst erlebt. Über Telefon erhielten wir ein entsprechendes Signal und mußten sofort die entsprechen unterstellten Einheiten warnen.)
Gegenwärtig (Anm. d. Verf. – 1986) kann ein aufzuklärender Ort in der UdSSR höchstens zweimal pro Tag von US-Aufklärungssatelliten überflogen werden. Durch meist vorherrschende ungünstige Wetterbedingungen und den Tag/Nacht-Rhythmus können Fotosatelliten und Sensoren im sichtbaren Frequenzbereich des Lichtes nur begrenzt genutzt werden."
Zusammenfassung:
Auch wenn jetzt einige Forumuser (damit waren die User des Jonastal-Forums gemeint -Anm.d.Verf.) enttäuscht sind, muß festgestellt werden, daß zu keinem Zeitpunkt Mittelstreckenraketensysteme vom Typ 15P645 "Пионер" (РСД-10) Nato-Code: SS-20 "SABER", auf dem Territorium der ehemaligen DDR stationiert waren.
Ent- und Verladungen im Großraum um den Truppenübungsplatz Ohrdruf sowie Verlegungen von ballistischen Boden-Boden-Raketen im Großraum um und auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf hat es mit Sicherheit gegeben, aber da kommen u. a. nur folgende Komplexe in Frage:
Es besteht die Wahrscheinlichkeit, daß mit folgenden Raketenkomplexen ausgerüstete Raketenabteilungen auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf stationiert waren:
Zu Übungszwecken können sich auch noch andere Raketensystem auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf befunden haben, darunter das sowjetisches OTR-System 9K714 "Oka", Nato-Code: SS-23 "SPIDER" auf Startrampe 9P71 (BAZ 6944).
Das größte Raketenkomplex der sowjetischen Truppen, der sich auf dem Territorium der DDR befunden hat, war das operativ-taktische Raketensystem 9K76 "Temp-S", Nato-Code: S-12/SS-22 "SCALEBOARD" auf Startrampe 9P120 (MAZ-543A) mit einer Reichweite von ca. 950 Kilometer. Im Vergleich zur SS-20 (Gewicht der Rakete ca. 35 Tonnen) war die zu diesem Komplex gehörende Rakete 9M76 mit einem Gewicht von nur ca. 9,3 Tonnen ein Leichtgewicht. Aber selbst dieser Raketenkomplex hat zu keinem Zeitpunkt den Truppenübungsplatz Ohrdruf gesehen.
Gruß
Panzerzwerg
den nachfolgenden Beitrag hatte ich im Herbst 2011 im Forum des "Jonastal-Vereins" veröffentlichkeit, als wieder Fragen zur Stationierung von SS-20 möglichweiser sogar in Thüringen auf dem Tr.Üb.Pl. Ohrdruf auftauchte. Auf Hinweis von Büttner , stelle ich diesen Beitrag in dieses Froum.
Für Meinungen, Ergänzungen und Richtigstellungen wäre ich dankbar.
7. Wurden Mittelstreckenraketensysteme vom Typ 15P645 "Пионер" (РСД-10)
Nato-Code: SS-20 "SABER", in der DDR stationiert?
Um Irrtümern vorzubeugen, nenne ich zuerst die für dieses Raketensystem in der ehemaligen Sowjetunion und in der NATO definierten Bezeichnungen:
Raketensystem: > 15P645 "Pionier" (RSD-10) mit der Rakete 15Ж45
Die Bezeichnung "RSD-10" (РСД-10) stammt aus dem
Artikel 3 des am 08. Dez. 1987 unterschriebenen INF-
Vertrages.
> 15P653 "Pionier UTTX" mit der Rakete 15Ж53-УТТХ
Raketen: > 15Ж45 "Pionier",
Aufnahme in die Bewaffnung: 11. März 1976
> 15Ж53-УТТХ "Pionier UTTX"
Aufnahme in die Bewaffnung: 23. April 1981
Startrampe: > 15U106, auf der Basis des sechsachsigen МАZ-573В
Nato-Code: > SS-20 "SABER mod1" für 15P645
> SS-20 "SABER mod2" für 15P635
Von der NATO wurde dieses Raketensystem als ballistischer Flugkörper kontinentaler Reichweite (IRBM – Intermediate Range Ballistic Missile) definiert. In der ehemaligen Sowjetunion dagegen als mobiles ballistisches Raketensystem mittlerer Reichweite (БРСД МРК).
Bis zum Zeitpunkt der Erreichung des annähernden strategischen atomaren Gleichgewichtes zwischen der USA und der UdSSR in der Mitte der 1970er Jahre war die Führung der sowjetischen Raketentruppen mehr als zehn Jahre mit der Modernisierung und der Erhöhung der Anzahl ihrer Interkontinentalraketen beschäftigt und richtet wenig Aufmerksamkeit auf die Weiterentwicklung ihres Mittelstreckenraketenpotentials. Dieser Zustand änderte sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre als die politische und militärische Führung der UdSSR erkannte, daß Europa der Hauptkampfplatz in der möglichen Auseinandersetzung mit dem "Weltimperialismus" sein wird. Nach dem es der UdSSR in der vergangenen Jahren mit positiven Ergebnissen gelungen war, den mobilen Raketenkomplex operativer Bestimmung 9K76 vom Typ "Temp-S". NATO-Code: SS12 / S-22 "SCALEBOARD" zu entwickeln und in die Bewaffnung der sowjetischen Streitkräfte einzuführen, entschloß man sich die neue Generation der ballistischen Mittelstreckenraketen ebenfalls auf "auf Räder zu stellen". Damit sollte deren Unverwundbarkeit vor den Vernichtungsmitteln des wahrscheinlichen Gegners gesichert werden. Die mobile Basierung der neuen Generation der ballistischen Mittelstreckenraketen erforderte aber zwingend die Verwendung von festen Treibstoffen. Außerdem entschloß sich die politische und militärische Führung der UdSSR zur Erhöhung der Vernichtungswahrscheinlichkeit gegnerischer Ziele und der Einsatzmöglichkeiten den neuen Raketenkomplex mit einem abtrennbaren Wiedereintrittskörper (PBV – Post Boost Vehicle) sprich abtrennbaren Gefechtskopf auszustatten, der über drei unabhängig voneinander zielbaren Wiedereintrittskörpern (MIRV – Multiple Independently targetable Re-entry Vehicle) verfügte. Die Entwicklung des neuen ballistischen Mittelstreckenraketensystems, das den Namen "Pionier" erhielt, begann 1971. Am 21. Sept. 1974 wurde auf dem Polygon Kapustin Jar erfolgreich die erste Rakete gestartet.
Am 11. März 1976 wurde der Raketenkomplex 15P645 "Pionier" (RSD-10) mit der Rakete 15Ж45 in die Bewaffnung der Strategischen Raketentruppen aufgenommen.
Die Raketenkomplexe "Pionier" ersetzten die im europäischen Teil der UdSSR im System der Ständigen Gefechtsbereitschaft befindlichen Raketenkomplexe der Typen R-12 / 8K63 (SS-4 "SANDAL") und R-14 / 8K65 (SS-5 "SKEAN"), in Sibirien und in Transbaikalien den Raketenkomplex R-16 / 8K64 (SS-7 "SADDLER"). Insgesamt sollen seit 1976 495 Raketenkomplexe an 29 Stationierungsorten in Dienst gestellt worden sein. Die R-12 hatte eine Reichweite von 2.100 km, die R-14 von 4.500 km und die R-16 von 13.000 km. Drei mit dem Raketenkomplex 15P645 "Pionier" (RSD-10) ausgerüstete Raketendivisionen wurden in Belorußland, drei in Ukraine und vier im asiatischen Teil der UdSSR stationiert. Anfang 1985 gehörten zu einer Raketendivision fünf Regimenter "Pionier" mit insgesamt 45 Startrampen. Auf Grund der Zuspitzung des Verhältnisses mit China Ende der 1970er-Jahre wurden in unmittelbarer Nähe zur chinesischen Grenze ebenfalls Raketenregimenter "Pionier" stationiert. Auf der Internetseite von Peter Hall www.peterhall.de/rvsn/missiles/rsd-10/pioner5.html (abgerufen am: 09. Nov. 2011) ist eine Karte mit den in Europa stationierten SS-20-Divisionen zu finden. Außerdem sind in der unten genannten Kopie des Dokumentes Nr. 310 / 86 des MfS die SS-20-Standorte ebenfalls noch einmal aufgeführt.
Die Einführung in die Truppe begann ab August 1976. Das erste mit diesem Komplex ausgerüstete Regiment wurde am 30. August 1976 in der Belorussischen SSR in das Diensthabende System eingegliedert. Es wurde international eingeschätzt, daß die SS-20 das leistungsfähigste Mittelstreckenraketensystem war, das jemals hergestellt worden ist. Bei sämtlichen Testschüssen war kein Fehlschuß dabei. Die SS-20 war das einzigste System ihrer Klasse, daß mit einem MIRV-Gefechtskopf ausgerüstet war. 1976 erhielten die Strategischen Raketentruppen 18 Startrampen, nach einem Jahr stieg die Zahl auf 51. 1981 befanden sich dann 297 Raketenkomplexe SS-20 im "Diensthabenden System", darunter 81 modifizierte Raketen vom Typ "Pionier" UTTX. Die Anzahl der produzierten Raketenkomplexe vom Typ "Pionier" wuchs mit unheimlichen Tempo: 1982 wurden 352 und 1983 378 Raketenkomplexe produziert. 1985 befanden sich im Bestand der Strategischen Raketentruppen 405 Raketenkomplexe "Pionier" verschiedener Modifikationen. Die Gesamtzahl der im "Diensthabenden System" und in den Lagern befindlichen Raketen erreichte die Zahl 650.
Auf Grund seiner Eigenschaften wurde dieses Raketensystem von der NATO als eine ernste Bedrohung und als ein Angriff auf das militärstrategische Gleichgewicht betrachtet. Die Sowjetunion betrachtete dieses Raketensystem als Zweitschlagsystem, während die NATO es als Erstschlagsystem betrachtet. Beide Betrachtungsweisen treffen in Abhängigkeit vom Standpunkt zu. Obwohl mit der Einführung der SS-20 alle R-12U und R-14 aus der Bewaffnung der sowjetischen Streitkräfte herausgenommen wurden und sich die summierte TNT-Menge verringerte, erhöhte sich jedoch die Kampfkraft der sowjetischen Strategischen Raketentruppen wesentlich.
Einige taktisch-technische Daten der Rakete 15Ж45:
- Gewicht der Rakete: 35.260 Kilogramm
- Länge der Rakete: 16,49 Meter
- max. Reichweite: 4.500 – 5.000 Kilometer
- min. Reichweite: 600 Kilometer
- CEP: 500 – 550 Meter (15Ж45)
450 Meter (15Ж53) - Lenkung: Trägheitsnavigation
- Raketentyp: zweistufige ballistische Feststoffrakete
- Gefechtskopf:
> 1 RV mit 500 kT oder 1 MT TNT, Reichweite 5.000 km
> 3 MIRV mit je 150 kT TNT, Reichweite 4.583 km - Zerstörungsradius:
> eines Spezial-Gefechtskopfes: 2,4 Kilometer
> von drei Spezial-Gefechtsköpfen: 5,0 Kilometer
Es gibt nur sehr wenige Quellen, wo die minimale Reichweite der Rakete 15Ж45 angegeben ist, eine davon ist die Internetseite http://ruzhany.narod.ru/rvsn/SS_20.html (abgerufen am 20. Febr. 2012 16:45), wo als minimale Reichweite 600 km steht, eine zweite Quelle ist das unten aufgeführte Dokument des MfS, wo eine minimale Reichweite von 200 km genannt, die aber nur unter bestimmten Bedingungen erreicht werden konnte.
Einige taktisch-technische Daten der Startrampe 15U106:
- Basisfahrzeug: MAZ-537B (6 Achsen)
- Länge der Startrampe 19,3 Meter
- Gewicht der Startrampe,: ca. 84 Tonnen
einschl. Rakete - Watfähigkeit: 1 Meter
- Max. Steigung: 15 Grad
- Wenderadius: 21 Meter
- Vorbereitungszeit zum Start: 30 Sekunden
Struktur der SS-20-Verbände und –Truppenteile:
Eine mit SS-20 ausgerüstete Raketendivision verfügte über vier bis sechs Regimenter, jedes mit drei Abteilungen.
Struktur des beweglichen Führungspunktes eines Raketenregimentes, das mit dem Raketenkomplex 15P645 / 15P645K "Пионер" ausgerüstet war:
- das Führungsfahrzeug zur Gewährleitung der Führung des Regimentes und der Nachrichtenverbindung zu den Raketenabteilungen mit der Funkstation R-111 (МБУ 15В55 (для связи с рдн имеется радиостанции Р-111));
- ein Nachrichtenfahrzeug zur Gewährleistung der Nachrichtenverbindung mit dem Divisionsgefechtsstand, ausgerüstet mit der Funkstation R-137 (МС-1 15В57 (для связи с КП рд оснащена радиостанцией Р-137);
- ein Nachrichtenfahrzeug zur Gewährleistung der Troposphärenfunkverbindung mit der Troposphärenfunkstation R-113 "КОРВЕТ" (МС-2 Р-133);
- ein Fahrzeug für die diensthabende Wache zur Sicherung, Verteidigung und Bewachung (Машина дежурной смены, охраны, обороны и караула МДСОО-К 15Я55);
- ein Gefechtsstandsfahrzeug (Машина боевого поста МБП 15Я56). Dieses Fahrzeug diente zur Sicherung während des Marsches als vorausfahrendes Vermessungsfahrzeug (Bestimmung der laufenden Koordinaten des sich bewegenden Fahrzeuges, der Koordinaten des zu erreichenden Punktes, der Zielkoordinaten usw.);
- ein Generatorfahrzeug mit zwei Diesel-Stromaggregaten (МДЭС 15Н1061М- 2 агрегата)
- ein Küchen- und Speisesaalfahrzeug (Автомобиль-столовая 15Т117);
- ein Fahrzeug für die Unterbringung des Personalbestandes (Автомобиль-общежитие 15Т118) und
- weitere Transport-Kfz und Anhänger.
Struktur einer mit dem Raketenkomplex 15P645 "Pionier" ausgerüsteten Raketenabteilung:
- zwei bzw. drei Startrampen 15U106 (СПУ 15У106) mit je einer aufgelegten Rakete;
- wahrscheinlich drei Nachladefahrzeuge mit je einer Rakete;
- das Führungsfahrzeug der Raketenabteilung – Fahrzeug zur Überprüfung und Startvorbereitung (Машина подготовки и пуска – МПП 15В56 bis 1977);
- ein Fahrzeug der diensthabenden Wachaufzuges zur Sicherung, Verteidigung und Bewachung (Машина дежурной смены, охраны, обороны и караула МДСОО-К 15Я55);
- ein Generatorfahrzeug mit zwei Diesel-Stromaggregaten (МДЭС 15Н1061М- 2 агрегата);
- ein Fahrzeug für die Unterbringung des Personalbestandes (Автомобиль-общежитие 15Т118);
- ein Küchen- und Speisesaalfahrzeug (машина-столовая 15Т117)
- ein Sicherungsfahrzeug auf der Basis des SPW 60PB (машина боеваого поста 15Я56) mit dem Navigationssystem 15Ш39 und
- weitere Transport-Kfz und Anhänger.
Auf folgender Internetseite finden Sie Bilder zu oben aufgeführten Fahrzeugen;
http://ruzhany.narod.ru/rvsn/SS_20.html (abgerufen am: 09. Nov. 2011 11:38). Es wird empfohlen, sich diese Bilder anzusehen, um eine Vorstellung von deren Größe zu erhalten.
Warum sollten die sowjetischen Streitkräfte den Raketenkomplex SS-20 in der DDR stationieren?
- Von den Startpositionen in der Belorussischen SSR aus, lag nicht nur ganz Europa in der Reichweite des Komplexes, sondern auch Grönland, Afrika bis Nigeria und Somalia sowie der ganze Mittlere Osten. Aus diesem Grund bestand überhaupt keine militärische Notwendigkeit, die SS-20 auf dem Territorium der DDR zu stationieren. Die sowjetischen Streitkräfte haben zu keinem Zeitpunkt Raketen außerhalb ihres Territoriums stationiert, wenn sie die zu bekämpfenden Ziele durch Raketen von ihrem Territorium aus erfolgreich bekämpfen konnte.
- Bei einer Stationierung der SS-20, eines Waffensystems mit außerordentlich hohem Kampfwert und strategischer Bedeutung, auf dem Territorium der DDR wäre dieses Waffensystem in der Reichweite einer viel größeren Anzahl von NATO-Waffensystemen gewesen, als im europäischen Teil der Sowjetunion, bis hin zur Gefährdung durch Spezialeinsatzkräften der NATO. Außerdem wäre zu Friedenszeiten eine agenturische Aufklärung auf dem Territorium der DDR möglich gewesen, was im Falle der Stationierung auf sowjetischen Territorium von der NATO zur damaligen Zeit als unmöglich angesehen wurde (siehe Kopie MfS-Dokument).
- Die Reichweite der SS-20 ist mit 600 bis 5.000 (4.700) km angegeben. Wenn die SS- 20 vom Territorium der DDR aus gestartet worden wäre, hätte sie nach Brennschluß bereits das Territorium der BRD, den wichtigsten Standort der NATO für vorwärts basierte Kernwaffensysteme, schon überflogen, ehe sie gegen Ziele einsetzbar gewesen wäre.
- Der hohe Kampfwert des SS-20-Systems war zum großen Teil in seiner, für ein solches System, außerordentlich hohen Mobilität begründet. Zur Gewährleistung der Mobilität und damit den Schutz dieses Systems fehlte in der DDR einfach der dazu notwendige Raum bzw. das notwendige Territorium. Man stelle sich vor diese "Klopper" mit einer Länge von knapp 17 Metern und einem Gewicht von 84 Tonnen wären Tag und Nacht durch die DDR gefahren. Dafür war ein großer Teil unserer Infrastruktur gar nicht geeignet und die Tarnung wäre ebenfalls nicht gewährleistet gewesen.
- Es fehlte in der DDR einfach die Fläche um die jeweils drei in einem SS-20-Regiment vorhandenen Raketenabteilungen in einer Entfernung von ca. 20 km voneinander "gedeckt" unterzubringen und zu entfalten (siehe Kopie MfS-Dokument Nr. 310 / 86).
- Bei Betrachtung der zu einer Raketenabteilung und zu einem Raketenregiment gehörenden Fahrzeuge wird deutlich, daß so etwas zu keinem Zeitpunkt in der ehemaligen DDR und erst recht im Großraum Truppenübungsplatz Ohrdruf zusehen gewesen ist. Bilder siehe Internetseite: http://ruzhany.narod.ru/rvsn/SS_20.html (abgerufen am: 09. Nov. 2011 11:38).
- Zu einem SS-20 Stellungsbereich gehörten 9 Schutzhallen (Schiebedachgaragen) und drei Versorgungsbunker, je einer für 3 Schutzhallen. Außerdem warenweitere Gebäude und Hallen zur Aufnahme der für den feldmäßigen Einsatz benötigten Fahrzeuge und Ausrüstung vorhanden. Ich bin mir sicher, daß so eine "Wirtschaft" sich zu keinem Zeitpunkt in der DDR bzw. in Thüringen befunden hat. (Siehe Stationierungsübersicht in der von mir oben angegebenen Kopie des MfS-Dokumentes Nr. 310/86.)
Übrigens ist mir bis zum heutigen Zeitpunkt auf dem Territorium der DDR auch keine Bewegliche Reparatur-Technische Basis unter die Finger gekommen, die die Raketenkomplexe vom Typ SS-20 hätte sicherstellen können.
Siehe auch Ausführung auf folgender Internetseite http://www.bunkernetzwerk.de/invboard/index.php?act=ST&f=1&t=1866& (abgerufen am 09. Nov. 2011 12:30).
Auszug aus einer Kopie eines Dokumentes Nr. 310 / 86 des MfS, die sich auf folgender Internetseite befindet:
http://www.php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm?lng=en&id=17276&navinfo=15296 (abgerufen am 30. Okt. 2011 17:14)
Der nachfolgende Auszug zeigt eindeutig, daß eine Stationierung auf dem Territorium der DDR und erst recht nicht im Großraum um oder auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf nicht erfolgt sein kann.
"Der Einsatz der gegenwärtig im Bestand der Truppen stehenden Raketen erfolgt nach gegnerischen Feststellungen (Anm. d. Verf. – damit ist die NATO gemeint) in zwei Versionen:
1. Einsatz aus vorbereiteten, vorvermessenen Feldstellungen
Die bei Übungen vom Gegner erkannten Feldstellungen liegen in der Regel in einem Umkreis von ca. 30 km um den Friedensstellungsbereich. Die SS-20-Transport- undStartfahrzeuge mit aufgelegter Rakete beziehen vornehmlich an Waldrändern in ca. 1 km Entfernung zu befestigten Straßen Stellung. In dieser Einsatzart lockert das SS-20 Regiment (Struktur und Standortverteilung s. Anlage 4) in drei einzelnen Abteilungen auf, die etwa 20 km Abstand voneinander besitzen.
Der Mindestzeitbedarf für den Raketenstart aus vorvermessenen Feldstellungen hängt primär von der Zielkategorie ab. Gehärtete Punktziele erfordern eine hohe Treffgenauigkeit und somit ein sehr genaues Ausrichten der Trägheitsplattform (Kreisel) der Rakete. Bei ungehärteten Flächenzielen ist die Treffgenauigkeit weniger relevant. Hier genügen 45 – 60 Minuten für die Justierung der Navigationskomponenten. Daher wird davon ausgegangen, daß die Rakete bereits 60 Minuten nach Beziehen einer vorbereiteten Feldstellung startbereit sein kann. Sind die Systeme bereits justiert, kann die Startbereitschaft innerhalb von 5 – 15 Minuten hergestellt werden.
2. Einsatz aus dem Friedensstellungsbereich (Schiebedachgaragen)
Die Startbereitschaft aus höchster Alarmstufe kann in 5 – 15 Minuten hergestellt werden, wobei zum Öffnen der Schiebedachgarage etwa 7 bis 15 Minuten benötigt werden. Bei ständiger Gefechtsbereitschaft beträgt der Zeitbedarf zwischen Alarmierung und Start der Rakete etwa 20 – 30 Minuten. …"
An anderer Stelle dieses Dokumentes wird zur Aufklärung dieses Raketenkomplexes folgendes ausgeführt:
"Der Gegner (Anm. d. Verf. – die NATO) geht davon aus, daß eine zeitlich und geografisch lückenlose Überwachung der für den Einsatz gegen Ziele auf europäischem Territorium geeignete Räume auf unerlaubte oder zusätzliche Stationierung durch agenturische Beobachtung trotz möglicher Zufallsergebnisse ausgeschlossen ist. Derzeit sei kein NATO-Staat in der Lage, eine Überwachung von Stationierungsbeschränkungen oder –verboten ausschließlich durch agenturische Quellen zu gewährleisten. Die Aufklärung durch technische Aufklärungsmittel ist ebenfalls bestimmten Einschränkungen unterworfen. Eine Aufklärung fester SS-20-Stellungsbereiche durch Fotosatelliten wird sich vorwiegend auf die Infrastruktur beschränken müssen. Es gilt als sehr problematisch festzustellen, ob Schutzhallen bzw. Schiebedachgaragen mit dem Waffensystem belegt sind oder nicht. Eine zeitlich lückenlose Satellitenüberwachung eines SS-20-Stellungsbereiches ist auf Grund der Satellitenbahnen und von Wettereinflüssen nicht möglich. Die Feststellung von SS-20-Komplexen im mobilen Einsatz außerhalb der festen Stellungen wird wegen möglicher Tarn- und Täuschungsmaßnahmen, der erforderlichen lückenlosen Fotoabdeckung von größeren Teilen der UdSSR und der notwendigen Bildauswertung als nicht realisierbar angesehen. Nahezu identische Probleme treten bei dem Einsatz satellitengestützter Infrarotsensoren auf. …
Die SS-20 ist bezüglich der Abstrahlung elektromagnetischer Energie ein passives System. Die Erfassung von Funkmeßsignalen ist daher nicht möglich. …
Der Gegner geht davon aus, daß bei einer beabsichtigten Vertragsverletzung durch die UdSSR mit der Anwendung denkbarer Tarn- und Täuschungsmaßnahmen zu rechnen wäre. Dazu gehört, daß die UdSSR die Überflüge von US-Aufklärungs-satelliten erfaßt sowie die Überflugzeiten und aufklärbaren Räume genau berechnet und gegebenfalls Warnung an betroffene Truppen übermittelt werden (Anm. d. Verf. – Diese Verfahrensweise habe ich als Gehilfe des operativen Diensthaben eines NVA-Verbandes selbst erlebt. Über Telefon erhielten wir ein entsprechendes Signal und mußten sofort die entsprechen unterstellten Einheiten warnen.)
Gegenwärtig (Anm. d. Verf. – 1986) kann ein aufzuklärender Ort in der UdSSR höchstens zweimal pro Tag von US-Aufklärungssatelliten überflogen werden. Durch meist vorherrschende ungünstige Wetterbedingungen und den Tag/Nacht-Rhythmus können Fotosatelliten und Sensoren im sichtbaren Frequenzbereich des Lichtes nur begrenzt genutzt werden."
Zusammenfassung:
Auch wenn jetzt einige Forumuser (damit waren die User des Jonastal-Forums gemeint -Anm.d.Verf.) enttäuscht sind, muß festgestellt werden, daß zu keinem Zeitpunkt Mittelstreckenraketensysteme vom Typ 15P645 "Пионер" (РСД-10) Nato-Code: SS-20 "SABER", auf dem Territorium der ehemaligen DDR stationiert waren.
Ent- und Verladungen im Großraum um den Truppenübungsplatz Ohrdruf sowie Verlegungen von ballistischen Boden-Boden-Raketen im Großraum um und auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf hat es mit Sicherheit gegeben, aber da kommen u. a. nur folgende Komplexe in Frage:
- der sowjetische Frontflügelraketenkomplex FKR-1 KS-7 / 4K78, Nato-Code: SSC-2A "SALISH"
- Sowjetische Frontflügelraketenkomplex FKR-2 S-5 / 4K95, Nato-Code: SSC-1A "SHADDOCK"
- das sowjetisches TR-System 2K6 "Luna", Nato-Code: FROG-2, -3, -4, -5 u. -6 auf Startrampe 2P16 (PT-76)
- das sowjetisches TR-System 9K52 "Luna M", Nato-Code: FROG-7 auf Startrampe 9P113 (SIL-135 LM)
- der sowjetische OTR-Komplex mit der Rakete R-11 "Зе́мля" / 8A61, Nato-Code: SS-1B "SCUD-A" auf Startrampe 2U218 (ISU-152K)
- der sowjetische OTR-Komplex mit der Rakete R-11M / 8K11, Nato-Code: SS-1B "SCUD-A" auf Startrampe 2P19 (ISU-152K)
- das sowjetisches OTR-System 9K72, Nato-Code: SS-1C/D/E "SCUD –B/C/D auf Startrampe 9P117 (MAZ-543)
- das sowjetisches TR-System 9K79 "Totschka", Nato-Code: SS-21 "SCARAB" auf Startrampe 9P129
- das sowjetisches OTR-System 9K714 "Oka", Nato-Code: SS-23 "SPIDER" auf Startrampe 9P71 (BAZ 6944)
- sowjetische Fla-Raketensysteme aller Art auf Räder- und Kettenfahrzeugen und
- Raketensystem der LaSK der NVA.
Es besteht die Wahrscheinlichkeit, daß mit folgenden Raketenkomplexen ausgerüstete Raketenabteilungen auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf stationiert waren:
- das sowjetisches TR-System 2K6 "Luna", Nato-Code: FROG-2, -3, -4, -5 u. -6 auf Startrampe 2P16 (PT-76)
- das sowjetisches TR-System 9K52 "Luna M", Nato-Code: FROG-7 auf Startrampe 9P113 (SIL-135 LM)
- das sowjetisches TR-System 9K79 "Totschka", Nato-Code: SS-21 "SCARAB" auf Startrampe 9P129
- Wann und in welchem Zeitraum sich die zur 39. Garde-Mot-Schützendivision gehörende 1563. selbständige Raketenabteilung auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf stationiert war, muß noch endgültig geklärt werden. Bisherige Informationen verschiedenen Quellen besagen, daß diese RA zusammen mit den selbst. RA der 27. und der 57. Garde-MSD bis 1988 in Wörmlitz / Halle stationiert war und durch die in Heide / Halle stationierte BRTB u.a. mit Spezialgefechtsköpfen sichergestellt wurde. Mit Sicherheit gab es erst ab 1988 die Arnstadt-Rudisleben stationierte 449. RBr mit 12 Startrampen TRS 9K79 "Totschka" (SS-21 "SCARAB"). Diese RBr ist aus der 329. RA der 57. GMSD, der 345. RA der 79. GPD und der 1563. RA. der 39. GMSD gebildet worden.
Zu Übungszwecken können sich auch noch andere Raketensystem auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf befunden haben, darunter das sowjetisches OTR-System 9K714 "Oka", Nato-Code: SS-23 "SPIDER" auf Startrampe 9P71 (BAZ 6944).
Das größte Raketenkomplex der sowjetischen Truppen, der sich auf dem Territorium der DDR befunden hat, war das operativ-taktische Raketensystem 9K76 "Temp-S", Nato-Code: S-12/SS-22 "SCALEBOARD" auf Startrampe 9P120 (MAZ-543A) mit einer Reichweite von ca. 950 Kilometer. Im Vergleich zur SS-20 (Gewicht der Rakete ca. 35 Tonnen) war die zu diesem Komplex gehörende Rakete 9M76 mit einem Gewicht von nur ca. 9,3 Tonnen ein Leichtgewicht. Aber selbst dieser Raketenkomplex hat zu keinem Zeitpunkt den Truppenübungsplatz Ohrdruf gesehen.
Gruß
Panzerzwerg
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