Sahuarita, Arizona: Titan II, 390th Strategic Missile Wing

jollentreiber

New member
Wie ein Atominferno aussehen würde, ich glaube das konnte sich damals in der Schule keiner von uns genau vorstellen.
Auch wenn unsere Lehrer sich sicher die größte Mühe gaben, richtig klar wurde mir (und gewiss nicht nur mir) das erst mit der weiteren Entwicklung und dem reifendem Alter.

Was war das nun genau mit dem uns der damalig propagandierte Klassenfeind nach dem jungen und behüteten Leben in unserer friedliebenden Heimat trachtete?
Wie funktionierten und sahen sie aus diese Interkontinentalraketen (ICBMs), die damals mit ihren atomaren Sprengköpfen bis zu uns in die ehemalige DDR reichten?

Ja, das sind alles Fragen die sich viele von uns evtl. erst später gestellt haben.
Als junge Menschen auf beiden Seiten der Weltmächte hatte man in den 80zigern sicher andere Lebensschwerpunkte als Kernsprengstoff tragende Raketen genauer zu betrachten.

Ehe ich hier jetzt meinen Tourbericht zum Besuch einer dieser Titan II Startkomplexe beginne, schlage ich vor sich mal diesen kurzen Film zum zu erwartenden Inferno anzuschauen.

Meine Bilder erreichen in dem nachfolgenden Bericht so sicher einen ganz anderen Stellenwert.



http://www.youtube.com/watch?v=B1AQD6HKuFk


Ok, Film gesehen?

Dann kommen wir jetzt aus dem damals glücklicherweise nicht stattgefundenen Desaster in das heute und jetzt zurück.


Im Bundesstaat Arizona, genauer im kleinen Örtchen Sahuarita existiert eine der letzte dieser ehemals 52 Titan II Raketenkomplexe.
Bestehend aus dem Startkontrollzentrum und dem Raketensilo bildete die 390th Strategic Missile Wing zusammen mit 17 weiteren Komplexen von 1963 bis 1984 eine strategische Bereitschaft, zugehörig der Davis Monthan Air Force Base.




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Wie ich lesen konnte ist die Titan II mit der kompl. baulichen Anlage in Sahuarita die einzigste noch bestehende Anlage und kann auch kompl. besichtigt werden. Na ja, wenn das dann kein Ziel für eine Reiseplanung ist.



Im Frühjahr des Jahres hatte ich dann die Möglichkeit mir das Objekt mal genauer zu betrachten.
Entgegen meiner Vorstellung von einer sich weit Abseits von jeglicher Wohnbebauung befindenden Anlage, konnte ich die ersten Anzeichen des Komplexes schon auf der örtlichen Zufahrtsstraße finden. Und zu meinem Erstaunen liegt der Silo auch keine 500 m, also in Sichtweite von den ersten Wohnhäusern, entfernt.
Ein Szenario wie in dem voraus gegangenen Film (startende Rakete aus dem Wohnzimmer sehen) wäre also zumindest in Sahuarita möglich gewesen.
Schon etwas erschreckend wenn man sich die Situation vor Ort dann mal vorstellt.




https://maps.google.com/?ll=31.90276,-110.99836&z=15&t=h


Angekommen am Objekttor konnte ich feststellen, daß das Thema offensichtlich für viele nicht so interessant ist oder ich einen Glückstag hatte. Es waren fast keine anderen Besucher anwesend, so das ich ungestört und in aller Ruhe die Führung durch das ehemals militärische Objekt mitnehmen konnte.





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Beginnend wird man in den ehemaligen Briefing Room geführt und kann in den bequemen Sesseln der damaligen Besatzung eine Einführung in die Anlage, unterstützt durch einen Film, genießen.





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Danach ging es mit den Lastenfahrstuhl (!!!) in den unterirdischen Zugang vor die Schleuse der Anlage mit seinen beiden jeweils 3 t schweren Stahltüren.





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Weiter führte der Weg in linker Richtung durch einen kurzen Gang in das Startkontrollzentrum.
Na gut, wenn man den Nutzungszeitraum 1963 bis 1984 betrachtet erscheint die vorhandene Technik dann doch wieder für die damalige Zeit modern.
Die russische Technik in ähnlichen Anlagen wird sicher nicht viel moderner gewesen sein.






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Um zum eigentlichen Grund dieser Kontrollzentrale, also der Titan II, zu kommen mussten einige kleinere Bereiche durchquert werden. Folgend stand ich vor dem ca. 50m langen Verbindungsweg zum eigentlichen Raketensilo.





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Auf dem Weg durch diesen Gang muß man ja unweigerlich an den Film Enterprise und Capt. Kirk denken. Aber zu der Zeit des Filmdrehes dürfte auch für Schauspieler wie William Shatner diese besondere Kulisse nicht erreichbar gewesen sein.





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Im Silo stand sie dann, die todbringende Waffe welche viele Jahre mit dem Ziel der Abschreckung durch totale Zerstörung jeglichen Lebens im weiten Kreis des Aufschlagbereiches in Bereitschaft gehalten wurde.

Still aber gigantisch, 31m hoch in ihrem Betonmantel. Damals, im Bereitschaftszustand, hatte dieses Gerät ein Gewicht von 148 t und eine Sprengkraft von 9 MT und wäre nach dem Start (Silozündung) auf einen bis zu 9.903 km langen und todbringenden Weg gegangen.

Heute steht diese SM-68B / LGM-25C nur noch als mahnendes Zeichen einer vergangenen Zeit, eine Zeit die sich kalter Krieg nannte.


Auf die Frage nach dem eckigen Loch im Kopf der Rakete, wurde mir durch den Begleiter auf dem Rundgang erklärt, das diese Öffnung für die russische Satellitenaufklärung damals ein Zeichen der Demilitarisierung der Rakete im ständig geöffneten Silo war.






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Wieder an der Oberfläche angelangt ist neben der hydraulisch verschiebbaren 740 t schweren Betonabdeckung noch einiges der Sicherungs- und Betriebstechnik zu sehen.





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Insgesamt gesehen ein interessantes und lohnenswertes Objekt wenn man mal zufällig in dieser Ecke der Welt ist.

Webseite: http://www.titanmissilemuseum.org/

Hier im Forum war bisher ja fast immer nur der östliche Gegenpart Thema einiger Betrachtungen. Mal sehen wie sich dieses Thema hier entwickelt.

Gruß
Lutz
 
Lutz, war das mit den 740 Tonnen ein Schreibfehler? Danke für den Bericht! Auf der einen Zeichnung ist ein "runder Bunker" zu sehen, was war denn darin und warum war es so rund?
 
Lutz, war das mit den 740 Tonnen ein Schreibfehler? Danke für den Bericht! Auf der einen Zeichnung ist ein "runder Bunker" zu sehen, was war denn darin und warum war es so rund?



Hallo Stefan

Wenn sich Deine Frage auf diese Zeichnung (Bild 1) bezieht, dann sind sicher die beiden markierten Fotos der Baubildserie hilfreich.

Farblegende:

Schwarz > Startkontrollzentrale
Grün > Zugangsbauwerk mit Lastenfahrstuhl
Rot > Startsilo Titan II


Zu dem Gewicht der verfahrbaren Siloabdeckung muß ich nochmal genau nachschauen. Obwohl, bei der Größe ist ein Gewicht von über 700 t durchaus annehmbar.

Ich hoffe Deine zweite Frage so ausreichend beantwortet zu haben.

Gruß
Lutz



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da hast du dir ja richtig viel Mühe gegeben :applause:

@Cincinnatus

Danke für die Anerkennung, man macht halt was man kann für die wissbegierige Hiddengemeinde. :highly_amused:

Mir bereitet es auch einiges an Spaß die Beiträge hier in dieser Form zu schreiben. Kommen einem dabei doch wieder mal einige alte Tourbilder unter die Finger und die gemachten Erlebnisse der Tage dort drüben frischen sich wieder etwas auf. Die Zeit ist heute ja sehr schnelllebig geworden.

Am längsten dauert eigentlich nur das Bilder hochladen, weniger das tippen.

Gruß
Lutz
 
Klasse!

Hast Du vor Ort erfahren wieviele Personen dort regelmäßig im Bauwerk in Bereitschaft waren?

Mich würde auch analog zu den östlichen Anlagen interessierten ob die Startkontrollzentrale mehrere Raketensilos kontrollierte, oder gab es wirklich an jedem Silo eine Kontrollzentrale mit x-Personen?

BG
Martin
 
Klasse!

Hast Du vor Ort erfahren wieviele Personen dort regelmäßig im Bauwerk in Bereitschaft waren?
Oh ja, "erfahren" habe ich vieles bei dieser Führung, nur mit dem Verstehen war das manchmal wegen dem amerikanischen Slang so ein Problem. :highly_amused:
Ich suche nun schon seit einiger Zeit das deutschsprachige Besichtigungsblatt welches ich freundlicherweise von meinem Führer bekommen habe. Wenn ich es jemals wiederfinden sollte, ja dann stelle ich es selbstverständlich hier ein.


Mich würde auch analog zu den östlichen Anlagen interessierten ob die Startkontrollzentrale mehrere Raketensilos kontrollierte, oder gab es wirklich an jedem Silo eine Kontrollzentrale mit x-Personen?

Dazu kann ich sagen das mit dem Umrüsten von Titan I (3 Raketen) auf Titan II nur noch eine Rakete pro Startkontrollzentrum von 4 Bedienern im 24 Std.-System betreut wurde.

Wie war das auf der Gegenseite?

Gruß
Lutz

p.s.:
Na Martin, die Raketenmotoren der Titan I wurde übrigens von der US-Firma Aerojet gefertigt. :D Da war doch noch was..... Everglades, Krokodile, alter Testsilo und Tourplanung zur "Hinterhoftour 2013/2014".
Ich bin noch an dem Standort dran und an der Organisation eines kräftigen Knüppel´s zur Krokodielabwehr sowiso! :hopelessness:
 
Im Silo stand sie dann, die todbringende Waffe
viele fliegen ja in die USA um sich die wunderschönen Nationalparks anzusehen aber nicht um alte Atomraketen zu fotografieren ..... und außerdem wundert es mich , daß du dort fotografieren durftest , ansonsten sehen die Amis doch in jedem Fotografen einen potentiellen Terroristen der die USA in die Luft sprengen will :highly_amused:.
 
Hallo Lutz,
Ja - beide Fragen beantwortet. Mich wundern halt diese 740 Tonnen. Du hast bestimmt noch mehr Fotos vom "Deckel". Und auf Deinem geposteten Fotos aus der Bauphase ist zu sehen das all das nicht allzu tief unter der Erdoberfläche gelegen ist. Hatte ich mir anders vorgestellt.

Beim Pendant in Pjerwomajsk ist es so das von einem Standort aus mehrere Startschächte überwacht und gesteuert werden. In P. selbst ist beides vorhanden, ein Schacht und der Kommandopunkt des Regimentes dem alle anderen Schächte in der Gegend unterstehen. Das wäre dann in diesem Fall ein Unterschied zwischen Ost und West.
 
Na Martin, die Raketenmotoren der Titan I wurde übrigens von der US-Firma Aerojet gefertigt. :D Da war doch noch was..... Everglades, Krokodile, alter Testsilo und Tourplanung zur "Hinterhoftour 2013/2014".
Ich bin noch an dem Standort dran und an der Organisation eines kräftigen Knüppel´s zur Krokodielabwehr sowiso! :hopelessness:

Das schließt sich denn der Kreis - wunderbar! Hast Du mal geschaut wie lang der Fußweg wäre?
Gibts für die Krokoabwehr nicht nen Spray oder akustisches Signal? Nicht das wir Dich denn aufn Tisch bei Horatio liegen sehen! Dann lieber Fort Jefferson im Korallenriff tauchen und die lokale Vogelwelt bestaunen *gg*.

Aber nun zurück zum Silo! Ich vermute mal die Titan war ebenfalls ständig start- und einsatzbereit. In welchen Zyklen musste die Rakete in die "Revision"?

BG
Martin
 
Mich wundern halt diese 740 Tonnen.

Mich nicht wenn man diese Anlage bzw. Abdeckung gesehen hat.
Rein rechnerisch ist es ja ganz leicht ermittelbar, L x B x H x Dichte des Spezialbetons = Gewicht. Natürlich nicht die konstruktionsbedingten Stahleinbauten zu vergessen. Die Dichte von Stahl liegt ja bekanntlich mit ca. 8,0 t/m³ bei weit mehr als das doppelte von Schwerbeton.

Oder schau Dir mal hier z.B. das Verhältnis Silodeckel gegen den Sattelauflieger an.

https://maps.google.com/?ll=31.90337,-110.99901&z=16&t=h

Aber auch hier kann geholfen werden, Stefan.
Es ist sogar noch etwas mehr, nämlich 743 t wie ich gerade eben auf einer Seite im Handbuch der Titan II gelesen habe.
Link zum download findest Du dann weiter unten.




Du hast bestimmt noch mehr Fotos vom "Deckel".

Ja sicher, macht ja jeder von uns wenn er auf seine speziellen Touren geht.
Ich kenne einen der knipst in einer Stunde so viele Bilder das man die Aufnahmen zusammen fast schon wieder als Video bezeichnen kann.
Nur sagen manchmal gute Bilder weniger aus als eine gute Webseite zum Thema.

Ich habe mal zwei Links zum Thema angefügt. Im ersteren findest Du auch die Seiten des Handbuches zum Download. Seite 9 behandelt z.B. Deine Fragestellung zum Silodeckel. Auf den verfügbaren Seiten sind auch andere interessante Details (Schnittzeichnungen, Baubilder) zur Anlage zu sehen.

http://www.titan2handbook.com/

http://www.titan2icbm.org/

Gruß
Lutz
 
..... Und auf Deinem geposteten Fotos aus der Bauphase ist zu sehen das all das nicht allzu tief unter der Erdoberfläche gelegen ist. Hatte ich mir anders vorgestellt.

Ja, selbiges habe ich auch gedacht als der Lastenfahrstuhl nach kurzer Fahrt wieder zu stehen kam. Treppenhaus wäre noch schneller gegangen.

Wie tief waren den vergleichbare Anlagen früher in der SU angelegt?

Die mechanisch verwundbarste Stelle solch einer Anlage bleibt, egal wie tief die Startkontrollzentrale auch liegt, ja immer die Siloabdeckung.

Gruß
Lutz
 
Also wenn man das da in der Ukraine als Pendant zum Vergleich bemüht dann dürfte dort der Laufgang die gleiche Tiefe gehabt haben. Nur das mir nicht in Erinnerung ist das man zu dem Schacht laufen konnte durch einen Gang. Der Gang in P. hat daher vergleichsweise nicht zwingend die gleiche Funktion. Aber den Gefechtsstand kann man miteinander vergleichen pauschal. In den USA ist ja dieses Eiförmige Ding direkt unter der Erdoberfläche. In P. befindet sich in einem Schacht eine lange senkrechte Röhre, darin auf vielen engen Etagen der Gefechtsstand. Erreichbar über ein Fahrstühlchen. Also oben sind beide Gefechtsstände gleich flach unter der Erdoberfläche, unten sind die Sowjets aber etwa doppelt so tief gegangen. War aber auch anderes Baukonzept. Das Zugangsbauwerk in den USA ist auch deutlich komplizierter. In P. war es nur eine kleine Treppe in einer Art Wachgebäude die so etwa in den Keller führte und dann stand man im Laufgang zum Gefechtsstand. Nix Treppenhaus und Lastenfahrstuhl. Ein anderer Gang zweigte hiervon ab und führte zu einer Klimaanlage, ein extra Gebäude oberhalb der Erdoberfläche.
Aber wenn ich nur die Bilder vom Laufgang vergleiche, das sieht in den USA irgendwie stabiler aus.
 
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