Schade, ausgerechnet Rügen ist fachlich interessant.
Ich habe inzwischen auf den BStU Seiten etwas über die Aktenrekonstruktion gelesen. Man kam da gleich mit einem spektakulären Fall, wie sich durch die Rekonstruktion zerrissener Akten in FFO das Wirken eines IM Thomas ans Licht bringen ließ und die Ergebnisse den Betroffenen präsentiert wurden. Spektakulär? Ob das den Betroffenen hilft?
Google mal bitte nach "MfS Zersetzung". Die damaligen Opfer, sagen wir lieber Zielpersonen des MfS, sind manchmal noch heute in psychologischer Behandlung. Da hilft schon, dass sie verstehen, wie banal das alles lief.
Ich habe nicht genug Einblick, wie bei der BStU mit personenbezogenen Dossiers umgegangen wird.
Ok, das machen wir mit einem Gedankenspiel - ich erkläre Dir, wie das bei BStU läuft.
Also
Du stellst da heute einen Antrag auf Einsicht in Deine eigene Akte. Also rein gedanklich machst Du das - nicht in echt.
Nach vielleicht 3 Wochen kommt ein Brief: Eingangsbestätigung, dort steht auch Dein Aktenzeichen (sagen wir 309/18) und das sie nie wieder mit Dir reden, wenn Du dieses Aktenzeichen nicht angibst.
Nach vielleicht einem Jahr (eher länger) bekommst Du einen weiteren Brief. Zu 90% steht da ganz lapidar drin "Leider müssen wir mitteilen, dass das MfS keine Akte über Sie führte" - also das ist der häufigste Fall.
Dann gibt es noch den Fall, dass in dem Brief sinngemäß steht: In der Hauptkartei des MfS steht, dass Sie erfasst sind. Akten wurden nicht gefunden.
Was bedeutet das?
Das kann alles mögliche bedeuten - weil dem MfS Geheimhaltung wichtig war. In der Zentralkartei stand lediglich, dass eine Person "erfasst" war - und für welche Abteilung. Es stand/steht aber nicht da, wofür Du überhaupt erfasst warst: Ob IM oder IM des KGB oder IM der K1 oder interessante Person oder potenzieller Gegner. Einfach nur "erfasst - mehr kann da niemand herauslesen.
Nun kommen wir zu den spannenden 7% aller Fälle - es existiert eine Akte über Dich.
Im Brief steht also: Ihr Termin ist am 34.02. 2018 um 27 Uhr. Weisen Sie sich mit Personalausweis aus, bringen Sie keine Waffen mit <lacht> - naja so etwa.
Ok, wir gehen da mal hin, da gibt es dann wirklich eine Personenschleuse.
Du wirst in den Lesesaal geführt, da ist Deine Akte. Aber NIE ohne Dich. Bei der ersten Akteneinsicht hast Du einen ganz persönlichen BStU-Mitarbeiter(-in). Sie hat mehrere Aufgaben: Allererstens Psychologie - vielleicht bist Du ja völlig geschockt von dem, was da drin steht. Zweitens Facherklärungen, Du wirst mit dem Fachjargon des MfS wenig anfangen können und immerzu Fragen haben. Drittens natürlich: Keine Aktenvernichtung! Sie überwacht Dich, denn Du hast die originale Akte in der Hand!
Personenbezüge in Deiner Akte - das war eine weitere angedeutete Frage:
Die bekommst die Originalakte. Da stehen Klarnamen drin (dazu später). Es stehen Decknamen von IM drin, die kannst Du nicht entschlüsseln. Als Opfer (jeder mit einer derartigen Akte ist formal erstmal Opfer) hast Du das Recht auf einen Antrag: Ich will die Klarnamen des "IM Grützesuppe" erfahren.
Wer richtig schlau ist, hat Papier und Stift dabei: Man darf während der Akteneinsicht mitschreiben. Warum ist das das nun interessant?
Man kann sich doch nicht alles merken. Und auf die Schnelle gleich gar nicht. Man hat aber das Recht, eine Kopie seiner Akte (oder von Teilen davon) zu erhalten, das wird später zugeschickt - teures Vergnügen übrigens.
Der Trick bei den Kopien ist folgender:
Alle (fast alle) Personen sind geschwärzt. Mal angenommen, bei Dir steht auf einer Seite "seine Freundin Chantal Weber hat gepopelt" wirst Du wegen Schwärzung nur noch "xxxxxxxxxxxxxxxx hat gepopelt" lesen können. Mag bei der damaligen Flamme noch erkennbar sein - aber diese Akten enthalten viele Personenbezüge zu eher unbeteiligten Dritten.
Eine Ausnahme gibt es da:
MfS-Angehörige gelten laut Gesetz grundsätzlich als "Täter" - deren Name ist nicht geschützt. Deren Name ist nicht geschwärzt. Das widerspricht tatsächlich der Idee des Datenschutzes, war damals wie heute aber Zielbedingung. Weniger der Bundesregierung, die fügte sich mürrisch dem Aufbegehren nicht nur der Bürgerbewegung, sondern auch größerer Teile der DDR-Bevölkerung.
Dieses ist wohl auch der Punkt des ansonsten von mir fachlich sehr geschätztem @fernaufklärer - er sieht da ständig den Lynchmob. Völliger Quatsch - was machst Du denn mit der Erkenntnis aus Deiner Akte, dass zwei Seiten ein Genosse Leutnant Lehmann unterschrieben hat? Ja, genau. Nichts. Buchen wir unter "so war das".
Habe ich den Vorgang der Einsicht in die eigene Akte verständlich erklärt?
Falls nicht - gern nachfragen (auch andere gern).
Auch zu dem Thema Aktenvernichtung liest man auf den BStU Seiten etwas.
Genau…ich las, dass die „operativen Vorgänge! vernichtet werden sollten.
Das liess mich auch sofort am Wert der 15.000 Säcke in Richtung Sachakten zweifeln.
Der Wikipedia-Eintrag "operativer Vorgang" ist zwar nicht grob falsch, aber schon irreführend. Der BStU-Artikel
https://www.bstu.bund.de/SharedDocs/Glossareintraege/DE/O/operativer-vorgang.html?nn=5976488 ist auch noch nicht der Traum, aber schon deutlich besser.
Ganz anders:
Ein "operativer Vorgang" war eine beginnende Akte. Zum Anfang der Akte ist noch gar nicht klar, welche Personenbezüge es gibt - klar war zu diesem Zeitpunkt lediglich, dass eine opder mehrere Personen betroffen sind - es gibt immer Personenbezug.
Extrembeispiel:
MfS vermutet, dass am 32.02.1988 ein Objekt der GSSD in Jüterbog aufgeklärt werden soll. Das MfS legt den operativen Vorgang (die Akte!) "OV Vorfahrt" an.
Vorsicht, Vokabelproblem!
Ein operativer Mitarbeiter (des MfS) ist nun wieder einer, der IM führt.