Artikel über einen Spionagetunnel in Wien vom 26.6.2024

Büttner

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Auf der Suche nach den britischen Spionagetunneln von Wien​

thomasriegler
Veröffentlicht am Juni 26, 2024

Es ist immer noch ein gut gehütetes Geheimnis des Kalten Krieges: Die drei britischen Spionagetunnel in Wien, die teils bis mindestens 1955 Bestand hatten. Bis heute wurde kein Dokument zu dieser Operation Silver freigegeben. Es gibt allerdings Aussagen von Zeitzeugen, die es ermöglichen, die Vorkommnisse zu rekonstruieren und die Schauplätze zumindest einzugrenzen.

Operation Silver
dürfte ein Sammelbegriff für mehrere Einzelvorhaben gewesen sein: Insgesamt drei Tunnel legte der britische Geheimdienst MI6 ab 1948/49 in Wien an. Sie trugen die Bezeichnungen Conflict, Lord und Sugar. Zweck war das Anzapfen militärischer Kommunikation der sowjetischen Besatzungsmacht. Auf diese Weise gelangte man an so viele Erkenntnisse, dass die US-amerikanische Geheimdienst CIA im geteilten Berlin Ähnliches probierte. Diese Operation Gold flog aber 1956 – nach knapp einem Jahr – auf, weil sie von einem britischen Doppelagenten verraten worden war. Dieser George Blake wird auch mit dem Ende der Wiener Spionagetunnel in Zusammenhang gebracht.

„Conflict“
Als erster Tunnel wurde jener mit der Bezeichnung Conflict angelegt. Angeblich soll im Sommer oder Herbst 1948 soll ein österreichsicher Fernmelde-Experte den Briten einen brisanten Tipp gegeben haben: Unter der Aspangstraße in Wien-Landstraße verlaufe ein Telefonkabel ein Großteil des sowjetischen Militärtelefonverkehrs sowie die internationalen Leitungen nach Prag, Budapest, Sofia und Bukarest abgewickelt würden.

Man entschied, einen Posten zum Abhören von Telefongesprächen einzurichten. Mit dieser Aufgabe betraut wurde die 291. Field Security Section (FSS) unter dem Kommando von Captain John Ham-Longman.

Gegenüber dem inzwischen abgerissenen Aspangbahnhof befand sich eine Reihe von Lager- und Abbruchhäusern mit großen Kellern. Drei davon wurden beschlagnahmt. Vom Keller des mittleren Gebäudes aus gruben sechs Pioniere unter der Leitung eines Offiziers der Royal Engineers dann den Tunnel. Dieser war „nur“ drei bis vier Meter lang und verlief eineinhalb Meter unter dem Straßenpflaster.

Sobald die Pioniere fertig waren, wurden sie zwecks Geheimhaltung nach Singapur versetzt. Die ausgehobene Erde wurde im Garten der Villa Beer in Wien-Hietzing verteilt, wo die 20. FSS ihren Stützpunkt hatte.

Zur Installation der Abhör- und Aufnahmeausrüstung kamen zivile Spezialisten direkt aus Großbritannien. Sie sollten am Aspang-Bahnhof ankommen. Aufgrund eines Missverständnisses stiegen sie aber am Bahnhof Wien-Meidling aus, der damals im russischen Sektor lag. Dort wurden sie gerade noch rechtzeitig abgeholt und mit ihren Ausrüstungskisten in Sicherheit gebracht.

Nach außen hin wurde der Abhörposten als Lager des britischen Railway Transport Office (RTO) getarnt. Rund um die Uhr arbeiteten drei Mann in zwei- oder drei-Stunden Schichten im Tunnel, der wegen der ungefilterten Luftmischung aus Zigarettenrauch, Kellerfeuchte & Ausdünstungen „Smokey Joe’s“ genannt wurde.

Wenn ein Anruf zu hören war, wurde das Aufnahmegerät aktiviert und das Gespräch auf Edisonphone-Wachszylindern aufgezeichnet. Die Zylinder wurden anschließend dreimal pro Woche in speziellen Fässern von Wien nach London geflogen.

Dort wurden die Aufnahmen von einer eigenen MI6-Abteilung (Section Y) abgehört und transkribiert. Es handelte sich dabei um einen Mix von von 50 bis 60 russischen Emigranten, polnischen Exil-Armeeoffizieren und sprachkundigen Einheimischen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse flossen in ein regelmäßiges Bulletin über die order of battle der Rote Armee in Österreich ein. Die Informationen wurden schließlich auch mit der CIA geteilt, die deswegen 75 Prozent der Kosten der Spionageoperation übernahm.

Für das Personal, das in „Smokey Joe’s“ Dienst machte, war es ein langweiliger Job. Keiner der FSS-Soldaten sprach Russisch. Wenn ein Gespräch danach klang, drückten sie die Aufnahmetaste. Gott allein wisse, wie viele Fehler dabei gemacht wurden, erinnerte sich einer der Beteiligten. Die einzige willkommene Abwechslung war das Belauschen der Vermittlungstelefonistinnen, die sich zwischen 01.00 und 03.00 Uhr morgens mit ihren Kolleginnen in Osteuropa über ihr Liebesleben austauschten.

Ein anderer Veteran erinnerte sich, dass er abends schmutzbedeckt zu seiner Vermieterin am Südrand von Wien nachhause kam. Diese fragte ihn jedes Mal ungläubig: „Wieder Fußball spielen, Herr Oberleutnant? Wieder Fußball spielen?“

Einmal gab es eine haarige Situation. Der schwere Güterverkehr über die Aspangstraße hatte dazu geführt, dass sich die Straßenmitte über dem Tunnel absenkte. Zum Horror der Soldaten im Abhörposten begannen sich eines Sonntagmorgens drei Arbeiter mit Spitzhacken ans Ausbessern zu machen. Die Briten betätigten darauf einen „Panik-Schalter“, der sie direkt mit einem Sicherheitsoffizier verband. Es dauerte nicht lange und ein General erschien in Begleitung eines hohen österreichischen Postbeamten. Dem wurde kurz gezeigt, was vor sich ging. Sollte er darüber auch nur ein Wort verlieren, wäre er innerhalb einer Stunde tot, hieß es. Das Reparaturteam wurde daraufhin umgehend abgezogen.

1951 wurde Conflict beendet, nachdem, die Sowjets aufgehört hatten, das Kabel zu benutzen.

„Sugar“ und „Lord“
Die zwei weiteren Spionagetunnel Sugar und Lord sollen noch bis 1955 in Betrieb, als die Besatzungszeit zu Ende ging. Am wenigsten ist zu Sugar bekannt. Der Tunnel, der sich angeblich in der Nähe des Hotel Imperial, dem Sitz der sowjetischen Militärverwaltung, befunden haben. Als Tarnung diente ein Imitatschmuckgeschäft namens Gablons, das von einem jüdischen Österreicher gemanagt wurde. Dieser „Mr. Prior“ war kommerziell so erfolgreich, dass die Profite zur Finanzierung der Spionageoperation herangezogen wurden.

Lord, der längste und aufwendigste der drei Spionagetunnel, wurde am Ende der Simmeringer Hauptstraße angelegt – gleich gegenüber vom sowjetisch besetzten Schwechat. Das Ziel war auch in diesem Fall ein unterirdisches Kabel, das parallel zur Straße verlief und das Hotel Imperial mit dem Kommando der Roten Armee in St. Pölten verband.

Der Zugang zum Tunnel erfolgte via einer Villa, in die zuvor der Geheimdienstoffizier John Edward Wyke mit samt seiner Frau eingezogen war. Wyke war die rechte Hand des MI6-Stationschefs Peter Lunn, der treibenden Kraft hinter Operation Silver.

Die Ausbeute war enorm. Laut dem involvierten britischen Agenten Anthony Cavendish wusste man so über die gesamte sowjetische Truppenaufstellung in Österreich Bescheid – bis hinunter zum Verbleib der Feldbäckereien.

Die vielfach wiedergegebene Geschichte, dass der Tunnel mit einem gut laufenden Tweed-Geschäft getarnt wurde, ist wohl eine Erfindung gewesen. Dasselbe gilt für das Ende von Lord: Angeblich sollen die Erschütterungen der Straßenbahn den Tunnel einstürzen haben lassen.

Auch hierbei dürfte es sich um eine bewusst gestreute Falschinformation handeln. Es sollte wohl verdeckt werden, dass die Operation verraten worden war. Ausgerechnet der stellvertretende Leiter der Section Y, George Blake, war seit seiner Gefangenschaft im Koreakrieg mit dem sowjetischen Geheimdienst im Bunde. Im Oktober 1953, so der Journalist Gordon Corera, soll Blake dem KGB in London ein zusammengefaltetes Stück Papier übergeben haben. Darauf festgehalten waren unter anderem präzise Details zu den Operationen in Wien.

Blakes Verrat ging aber noch weiter. Die CIA war nämlich vom Output der Operation Silver so beeindruckt gewesen, dass diese in viel größerem Maßstab als Operation Gold kopiert wurde: 1954/55 grub man einen 450 m-langen Tunnel unter den sowjetischen besetzten Sektor Berlins. Blake wusste auch hier Bescheid. Ausgerechnet er hatte bei Planungsbesprechung von Operation Gold Protokoll geführt.

Weil der Doppelagent aber zu wertvoll war, ließ sich der KGB aber bewusst Zeit. Erst im Frühling 1955 erging eine Warnung aus Moskau an die Stellen in Wien, dass ihre Kommunikation abgefangen werde. Der Abzug der britischen Besatzungstruppen im selben Jahr machte Lord ohnedies obsolet. Der Berliner Tunnel wiederum wurde in der Nacht vom 21. auf den 22. April 1956, elf Monate nach Inbetriebnahme, „entdeckt“.

Blake flog erst 1959 durch einen anderen Überläufer auf. Man verurteilte ihn zu 42 Jahren Haft. Doch Blake entkam 1966 aus dem Gefängnis und floh nach Moskau, wo er erst 2020 verstarb.

 

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